Wo liegt er, dieser Süden?
Panorama-Blick auf ein ungewöhnliches Kaleidoskop aus bunten Perspektiven
Ein Gastbeitrag von Marion Fugléwicz-Bren erschienen in ihrem Buch „Zwischen den Zeilen“.
Der Wörthersee glitzert smaragdfarben in der Sonne, die schroffen Karawanken ragen steil in den Azurhimmel. Vom Aussichtsturm am Pyramidenkogel genießen wir bei gleißendem Sonnenschein in einer Seehöhe von neunhundert Metern den einzigartigen Rundblick über See und Umgebung. Von Velden im Westen bis zur Landeshauptstadt Klagenfurt im Osten erstreckt sich der größte und bekannteste der Kärntner Seen. Zwanzig Quadratkilometer Trinkwasserqualität und zugleich einer der wärmsten Badeseen Österreichs.
Der ewige Reiz des Wörthersees im Wandel der Zeit ist unbestritten.
Warum ist eigentlich gerade dieser See so beliebt? Was macht seinen ganz spezifischen, unverwechselbaren Reiz aus? Manche sprechen von der „fröhlichsten Badewanne Österreichs“, andere schwärmen vom attraktiven Nachtleben und den zahlreichen Vergnügungsplätzen, viele schätzen den warmen See Österreichs wegen der zahlreichen Naturschönheiten. Die Werbeprospekte loben die Vielfalt der spektakulären Eventphilosophie, deren gesellschaftliche, sportliche und kulturelle Darbietungen sich alljährlich zu übertreffen scheinen.
Die zahlreichen Vorzüge und Eigenheiten der Wörtherseeregion aufzuzeigen, das wird wohl Teil eines eigenen Buchprojekts, das ich schon lange in mir trage und dessen Zeit kommen wird.
Absolut Süden
Was nun ist es grundsätzlich, was Menschen schon seit jeher in südliche Gefilde und an klare Gewässer zieht? „Jeder braucht seinen Süden“, postuliert der Schweizer Literatur- und Kulturwissenschaftler Iso Camartin in seinem gleichnamigen Büchlein, das jedem ans Herz geht der die Sehnsucht kennt. Denn Süden, so der Autor, hat wenig mit Längen- und Breitengraden zu tun. Er ist nur mit Licht- und Wärmegraden der Seele zu messen. Seine Dimensionen haben einen einzigen Maßstab: den der Begierde nach dem Hellen und nach dem Weiten: Als Befindlichkeitskategorie bedeutet Süden – jedenfalls in unserem europäischen Realitätsverständnis – etwas beinah Absolutes.
Hand aufs Herz liebe Leser: Das genau ist es doch, oder?
Das irdische Paradies, die Sehnsucht nach Wärme, nach absoluter Schönheit, nach den unerschöpflichen Farben der Natur und den kühlen Wassern, die unsere Seelen erfrischen. Wo der Süden beginnt, ist nicht eindeutig definierbar: Dass etwa der Süden des lichtempfindlichen Philosophen Friedrich Nietzsches womöglich schon in Basel begann, mag zum Beispiel einem Sizilianer seltsam erscheinen. Thessaloniki ist für einen Athener eine kalte nördliche Stadt. Und für einen Leipziger beginnt der Süden kurz hinter dem Brenner bei Brixen. Aber es ist wohl immer die Begierde nach „dem anderen“, die jegliche Geographie durchkreuzt – ein zutiefst menschliches Phänomen übrigens.
Vielleicht ist es eben diese Begierde, vielleicht auch eine andere Form der Sehnsucht, die seit Jahrzehnten zahlreiche Künstler – Literaten wie Musiker, Maler und andere Kreative – an den Wörthersee zog und zieht. Gepaart vielleicht mit dem Wunsch nach Schönheit und Entspannung der Seele.
Robert Musil: Spazieren schwimmen
Ein Großer der deutschsprachigen Literatur, dem in Klagenfurt ein Literaturmuseum gewidmet ist, Robert Musil, spricht vom „spazieren schwimmen“: In einem Brief an den Kritiker Oskar Fontana schrieb er: „Ich sitze weniger – wie Sie vermuten – im Grünen sondern liege im Blauen, und dieser herrliche See, in dem man spazieren schwimmt, hat für mich nur den großen Nachteil, dass man nicht das Manuskript ins Wasser nehmen kann“.
Aber es ist wohl immer die Begierde nach „dem anderen“, die jegliche Geographie durchkreuzt – ein zutiefst menschliches Phänomen übrigens.
Auch Gustav Mahler liebte die Natur in all ihren Erscheinungsformen.
An seine Frau Alma schrieb er:
„Draußen strömt es ununterbrochen – donnert, blitzt, kracht, dass es nur eine Freude! Gehört für mich zum Schönsten, was mir der See jetzt bieten kann. Draußen der Sturm und ich in deinem Salon mit Büchern, Noten, Klavier und Papier.“
In den Jahren 1900 bis 1907 verbrachte die Familie die Sommermonate in der Villa Mahler – bis zum tragischen Tod der erstgeborenen Tochter Anna Maria im Jahre 1907, dann wurde dieses Haus aufgeben. Heute ist es in Privatbesitz.
In zahlreichen Briefen und Notizen bezog sich Mahler übrigens auf die ihn inspirierende Landschaft: „Ich steige in Krumpendorf aus, um mich nach Maiernigg übersetzen zu lassen, bei den ersten Ruderschlägen fiel mir das Thema oder vielmehr der Rhythmus und die Art der Einleitung zum 1. Satz der 7. Symphonie ein.“
Das Komponierhäuschen
Bei einem Spaziergang im Wald oberhalb von Maiernigg kann man auf ein Kleinod stoßen: Aus der Ferne erklingt Musik von Gustav Mahler. Das Komponierhäuschen. Versteckt im Walde arbeitete der damalige Wiener k. u. k. Hofoperndirektor Mahler in aller Ruhe und Abgeschiedenheit an seinen Kompositionen und wanderte täglich über den Waldweg zur Villa am See. Hier schrieb er den Abschluss der 4. Symphonie, die 5., 6., 7. und die 8., die Symphonie der Tausend, fünf Lieder nach Rückert und auch die Kindertotenlieder.
Der Besucher kann diesem Geist nachspüren, indem er verweilt, Mahler-Musik hört und sich vom Kustos Geschichten über Mahler und seine Verehrer erzählen läßt.
Johannes Brahms
Auch ein anderer Musiker, der oft als „Sommerkomponist“ bezeichnet wird, verbrachte die Sommermonate der Jahre 1876 bis 1879 in Pörtschach am Wörther See: Johannes Brahms.
„Erzählen will ich“, so schreibt er, „daß ich hier in Pörtschach ausstieg, mit der Absicht, den nächsten Tag nach Wien zu fahren. Doch der erste Tag war so schön, daß ich den zweiten durchaus bleiben wollte, der zweite aber so schön, daß ich fürs erste weiter bleibe“.
Brahms war kein Tourist im heute herkömmlichen Sinne, der darauf wartete, daß ihm etwas geboten würde. Vielmehr lebte und komponierte er in Pörtschach, seinem schönen sommerlichen Zuhause. Er traf Freunde und Bekannte aus aller Herren Länder und lud sich Gäste ein, gab Konzerte im nahe gelegenen Klagenfurt, und schuf neue Werke (die 2. Symphonie, das Violinkonzert, die G-Dur-Violinsonate, Lieder-, Kammer- und Klaviermusik), schöpfte Kraft aus der Natur und goss sie in Musik. Brahms soll zeitlebens eine besondere Vorliebe für landschaftlich reizvolle Sommerdomizile in der Nähe belebter Städte gehabt haben; wohl auch, da er gemäß seinem Lebensmotto „frei, aber einsam“ keine festen Bindungen einging, wohl aber Geselligkeit ebenso schätzte wie das Ursprüngliche der Natur.
Vielleicht wieder ein Motiv, das für den Wörthersee spricht?
Sinn und Sinnlichkeit…
Was bedingt die Faszination der Freiheit, die einsam, oder der Einsamkeit, die frei macht? Und was haben die Aggregatzustände des Wassers damit zu tun? Zweifellos gibt es hier einen Zusammenhang. Wasser glitzert. Wasser gefriert. Wasser fließt. Wasser sprudelt, plätschert, tropft. Und der Wellengang fasziniert nicht nur, sondern unterstreicht die Vielfalt der Erscheinungsformen…
Julien Green
Die Stadtpfarrkirche St. Egid hat sich ein großer französischer Schriftsteller amerikanischer Herkunft zu seiner letzten Ruhestätte auserkoren: Julien Green. Er wurde protestantisch erzogen, bekannte sich aber mit 15 Jahren zum Katholizismus. Später stand er dann dem Buddhismus nahe, doch mit 39 Jahren bekannte er sich wieder zum katholischen Glauben.
Das Ringen zwischen irdischer Lust und Enthaltsamkeit sowie die Suche nach der metaphysischen Wirklichkeit durchziehen sein Werk. Im 98. Lebensjahr verstorben wurde er im August 1998 in der Stadtpfarrkirche beigesetzt.
Schon Goethe wusste, dass es viel Schatten gibt, wo viel Licht ist.
Die Offenheit und Freundlichkeit der Kärntner öffnet jedem Urlauber das Herz. Es sei denn, er kommt gerade ungelegen, was er denn zuweilen auch deftig zu spüren bekommen mag…
Hinter dem freundlichen Lächeln und dem liebevollen „Grüß Gott“ vermag der Kärntner seine Schwermut zu verbergen – genauso wie all das, was ihm heilig ist an seiner Heimat. Immerhin muss er diese alljährlich mit den mehr oder weniger geliebten Touristen teilen.
Ein zweischneidiges Schwert und ein Konflikt, den jeder nachvollziehen kann, der sich in die Materie vertieft. Der Slogan „Urlaub bei Freunden“ hat zweifellos einen erheblichen Wahrheitsgehalt, wenngleich er – bedingt durch selbigen Konflikt – mit Vorsicht zu genießen ist.
Um das zu verstehen, muss man ein paar Jahre zurückschauen: In den Fünfziger Jahren blühte der Wörthersee-Tourismus zum zweiten Mal auf. Damals entstand das erste Lied, das den See und seine Schönheiten besang: „Du bist die Rose vom Wörthersee“. Diese Ufer wurden zur österreichischen Riviera. Und schon entstand die Frühform des späteren Jet-Sets.
Ein Platz zum Träumen und zum Bleiben. Im Sommer das pulsierende Leben auf Schritt und Tritt, im Herbst das Feuerwerk der Farben, als hätte ein Maler seine Farbpalette über die Natur gegossen – zu jeder Jahreszeit Spiel und Reiz der Gegensätze und der Vielfalt.
In den Siebzigerjahren boomte der See und all seine Vergnügungsplätze. Die Prominenten – vor allem aus dem Showbusiness – bevölkerten das bunte Szenetreiben in Pörtschach und Velden. Zahlreiche Film- und Fernsehproduktionen beherrschten das Nachtleben und brachten entsprechend viel Aufmerksamkeit in den Medien.
In den neunziger Jahren wurde es dann wieder ruhiger. Man erkannte schließlich, dass der Massentourismus in dieser Landschaft zerstörerisch wirkt und begann umzudenken. Seitdem gibt es in jeder Saison eine Vielfalt an gesellschaftlichen und kulturellen Ereignissen rund um den See, wobei möglichst viele Zielgruppen abgedeckt werden sollen – vom betuchten Golf spielenden Gesellschaftslöwen bis zum eingefleischten Motorrad-Freak.
Der Wörthersee ist Sportregion, Nobelkurort, Filmdrehort und Naturparadies. Ein Kaleidoskop aus bunten Perspektiven, deren jede einzelne ihre ganz spezielle Ausprägung hat. Von außen betrachtet ist das Bild – wie jedes andere auch – jedoch immer unvollständig. Interessant wird der Blick mit dem Zoom, der die Einzelheiten und die Feinheiten beleuchtet und der einer Hochglanz-Oberfläche die Tiefenschärfe verleiht.
(Aus: Zwischen den Zeilen von Marion Fugléwicz-Bren, edition mfb, 2009)